Abi-Entlass-Stück

Dialog auf Station 13 – anlässlich der Entlassung unserer „Abis“

L: Doktor.

N: Doktor. (Guten Morgen, Herr Kollege)

L: Wie sieht´s aus auf der 13?

N: Naja, die Kolonne ist fast durch, alle Gutachten geschrieben, die Entlassungsbriefe eingetütet und bereit zur Ausgabe. Neues von der 5?

L: Wie immer. Es geht drunter und drüber, die neuen Patienten sind überhaupt noch gar nicht eingestellt.

N: Naja, so ist das Geschäft. Was wollen wir denn am Tag der Einlieferung? Dass der Tag der Entlassung schnell da ist, oder? Auf jeder Station ist ja nur ein Jahr Platz. Aber wann der Unterricht anschlägt, ist eine andere Sache.

L: Eben, eben. Die Betten …äh…die Stühle müssen aber wieder frei werden.

N: Bei uns ist es ja wie mit der Warteschlange im Disney-World. Man läuft erst ewig Serpentinen im Freien, dann denkt man, man hätte es geschafft, nur um nochmal die doppelten Menge Serpentinen im Gebäude zu laufen. Wenn Sie so wollen, ist es hier umgekehrt. Nach den Schülys ist vor den Schülys.

L: Ja, die niedliche Panik vor jedem kleinsten Vokabeltest, als wäre es ein Pikser ins linke Ohr. Oder vor jeder einzelnen Klausur, als wäre es eine Wurzelbehandlung. Oder vor jedem Referat, als wäre es eine öffentliche …

N: Äh… Herr Kollege, einige Klausuren waren tatsächlich Wurzelbehandlungen und gingen sogar noch darüber hinaus…

L: Weißt du, was lustig ist? Die Patientengespräche über die Genesungsfortschritte. Die kommen manchmal Vertragsverhandlungen gleich. Aber wem die Illusion hilft…

N: Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen, richtig?

L: Absolut! Aber auch harte Arbeit, Hingabe und eine gesunde Dosis von Strebsamkeit hilft dem noch so schläfrigen Patienten aus dem Bett. Es rufen ja guter Doktor und böser Doktor in gesundem Rhythmus und die täglichen Gruppentherapien.

N: Aber vergessen wir auch nicht die Nebeneffekte des Aufenthaltes hier in dieser Anstalt. Einige waren oft geplagt – oder gesegnet – von Schlaflosigkeit, Verlust des Raum- und Zeitgefühls, endlosem Koffein-Missbrauch und einer Tendenz zu Selbstgesprächen auf dem Gang. Sozusagen eine temporäre scholastische Schlafstörung.

L: Oh, ich glaube auch, ich habe vieles gesehen. Von Patienten, die Formeln vor sich hinmurmeln, als wären sie Flüche, zu solchen, die im Schlaf von Latein-Vokabeln halluzinieren.

N: Aber Sie müssen zugeben, wenn man deren Lachen am Tag der Entlassung sieht, scheint es doch den jahrelangen Aufenthalt hier in der Anstalt wert zu sein. Sehen Sie doch, sie haben das Gefühl, weiser, stärker und bereit in die Welt zu treten.

Kittel aus…!!

Da werden Lehrer N. und L. zivil: (Cut) Stehen vorne.

Lehrer L. bleibt noch einen Augenblick in seiner Rolle als Arzt.

L: Was hältst du eigentlich von diesen neumodischen Behandlungsmethoden? Einige sind ja noch in der Erprobung, wie ChatGPT. Hartes Zeug, evtl. erstmal als Placebo zu gebrauchen. Kahoot und Tablet – Wunder-Mittel ohne Ende. Jedenfalls nicht einfach, alle zu behandeln, wenn sie durch Memes, Gifs, TikTok und tatsächlich sehr coole Kartzenvideos scrollen.

Überleitung:

N.: Lieber Kollege, vielleicht sollten wir aufhören so zu tun, als würden wir Operationen und Therapien vollführen. Das wird unseren Schülys und den Herausforderungen, denen sie sich in der Schule gestellt haben, nicht gerecht.

L.: Therapiesitzungen, Achterbahnfahrt… etc. (Arztrage)

N. stößt L. ungeduldig an…: „Herr Kollege“…

Also 1. schätzt du unsere Abiturienten völlig falsch ein und 2. guck doch mal nach vorne, die Gäste warten darauf, dass wir zu den festlichen Getränken …äh… zum festlichen Teil übergehen. J

L.: Welche Gäste? Patienten? Wie was?

N.: Sag mal, hast du ganz vergessen, dass wir Zuhörer haben und dass wir eigentlich heute hier sind, um das Ende der Schulzeit zu feiern oder wie die Abiturienten auf dem Abispaß verlauten ließen:

Gemeinsam: 😊 Abicetamol – das Ende der Schmerzen!

N.: Nein, nein, nein, ich rede von einem wichtigen Lebensabschnitt voller Erfahrungen, der heute zu einem feierlichen und großartigen Ende kommt, auf den die Schülys stolz sein können.

Liebe Gäste, liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

ihr habt es vollbracht! Euer Abitur. 13 Jahre im Schweiße eures Angesichts…

L.: …naja, bei dem einen oder anderen auch länger als 13 Jahre. Oder sind´s 14? Schwamm drüber.

N.: Ja, das stimmt. Aber im Schweiße eures Angesichts und nicht zu vergessen: zum großen Teil unter Pandemiebedingungen.

Denn mit eurem Eintritt in die Oberstufe war die Corona-Pandemie in vollem Gange. Das bedeutete für euch: Distanzunterricht, mehr selbstorganisiertes Lernen, aber auch für manchen mehr Einsamkeit, mehr Ängste und insgesamt mehr Unsicherheit. Denn ein Ende war zunächst nicht abzusehen.

Was euch diese Zeit aber auch gebracht hat, ist Wertschätzung für die Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben. Mehr innere Stärke, denn: Was habt ihr nicht alles gemeistert! Und zwar ohne euch zu beklagen. Abstandsregeln, Wechselunterricht, Maskenpflicht, tägliche Coronatests, persönliche Herausforderungen und vieles mehr.

Ihr habt Flexibilität bewiesen und das Vermögen, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und das Beste draus gemacht.

L.: Ja, genau. Gerade was die Planung einer möglichen Studienfahrt anging, habt ihr euch nicht entmutigen lassen. Wir haben geplant, storniert, neu geplant. Und letztendlich duften wir dann auf Fahrt. Nach Prag, Tirol, den Gardasee, Brüssel und Straßburg.

N.: Dort haben wir euch als umsichtig, verantwortungsbewusst, das Leben feiernd…

L.: Aus der Dusche kamen verdächtige Dämpfe – ich habe munkeln hören, dass Alkoholika in der Dusche versteckt wurden.

N: Nee, das glaube ich nicht. J

Ihr habt euch an Abmachungen gehalten und wart, nachdem bereits die Weimarfahrt kurzfristig abgesagt werden musste, dankbar und happy, dass überhaupt Studienfahrten möglich waren.

N.: Überhaupt haben wir euch als Schülys erlebt, die sich umeinander kümmern, die sich kompromisslos gegenseitig unterstützen und mit einem großen Gemeinschaftssinn. Ihr engagiert euch für die Umwelt, im Ehrenamt und vor allem füreinander. Das hat man zuletzt nicht nur bei der Orga eures Abistreiches gesehen.

Und ganz ehrlich: Wir sind stolz und dankbar, dass wir euch eine Zeitlang begleiten durften.

Deswegen jetzt noch ein letztes Mal „Lernen fürs Leben mit Herrn Anders und Frau Neustadt mit dem Zitat von Matt Haig: „Manchmal lernt man nur, wenn man lebt.“ (Im Herzen bewegen?  J ) (Zitat auch gern 2x)

Das bedeutet also, geht raus in die Welt, seid mutig, nehmt eure Ängste in die Hand, wagt auch mal etwas! Denn, was ist, wenn das Leben außerhalb der Schule einen großen Rummelplatz an Möglichkeiten bietet? Einen Erfahrungsraum, in dem ihr euch ausprobieren könnt. Und zwar mit dem Ziel euer kleines Glück im Hier und Jetzt zu finden. Und nicht erst in einer fernen Zukunft.

Wir beide zumindest sind sicher: Ihr habt das Herz am rechten Fleck, habt das Abitur in der Tasche, Ihr schafft das!

Kittel wieder anziehen.

N.: So, Kollege, Station 5 wartet.

L.: Und falls ihr später mal Anzeichen von Examinitis oder Prüfophobie haben solltet, schluckt einfach nochmal eine Erinnerungsdosis Abicetamol, die euch immer daran erinnert, was ihr in eurem Leben schon erreicht habt! Es gibt ja noch reichlich – und es wirkt!

Abicetamol- das Ende der Schmerzen (?)

Wir wünschen Euch alles Liebe für euren weiteren Weg!

 

L. Anders und N. Neustadt